Künstler:in
Georg Roemer
(* 1868 Bremen, † 1922 München)
Karl Weinberger
(* 1885 München, † 1953 München)
Titel
Fassadenbekleidung Stadtheater: Apoll und die Musen, Tragödie, Komödie, Karyatiden, Atlanten
Datierung
1907/08
Technik
Sandstein, Muschelkalk
Beschreibung

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist die Beckergrube angestammter Sitz des Lübecker Stadttheaters. Hier eröffnete der Lübecker Zimmermeister Hermann Hinrich Schröder im Jahre 1753 ein kleines Theater im ehemaligen „Lüneburger Hof“. Nach zahlreichen Umbauten und Erweiterungen dieser Räumlichkeiten wurde 1858 mit dem Casino-Theater ein neu errichteter Bau in Betrieb genommen, der knapp 50 Jahre Bestand hatte. Es war dieses Theater, in dem Thomas Mann die Lübecker Erstaufführungen der Opern Richard Wagners erlebte, die ihn persönlich und literarisch nachhaltig beeindruckten. Veränderte Sicherheitsbestimmungen, insbesondere bezüglich des Brandschutzes, sorgten 1905 für die Schließung des Casino-Theaters. Eine Grundstücksschenkung des Senators Emil Possehl ermöglichte die Errichtung eines neuen großzügigen Theaterbaus, der 1907/08 realisiert wurde. Der beauftragte Dresdner Architekt Martin Dülfer schuf ein Gebäude, das in seiner Außen- und Innengestaltung ganz dem Jugendstil verschrieben ist.

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Die plastische Gestaltung der Fassade übernahmen die Bildhauer Georg Roemer und Karl Weinberger - von Roemer stammen die figürlichen Reliefs im Hauptgesims, Weinberger schuf die vier großen Karyatiden und Atlanten. Gemeinsam fügen sich ihre Arbeiten zu einem harmonischen Ensemble, das sich thematisch an der antiken Mythologie orientiert. Karl Weinberger griff bei seinen Figuren, die den mächtigen dreieckigen Giebel der Theaterfassade zu tragen scheinen, auf typische Motive der antiken Bauplastik zurück: Die Atlanten wurden nach dem Titan Atlas benannt, der in der griechischen Mythologie das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern zu tragen hatte. Als architektonische Schmuckelemente besitzen sie die Erscheinung von kräftigen männlichen Figuren, die die Funktion von Pfeilern übernehmen und die oberen Gebäudeteile tragen. Karyatiden sind die weiblichen Gegenstücke der Atlanten, ihre Bezeichnung geht zurück auf die antike griechische Stadt Karyai, deren Bewohnerinnen versklavt worden waren. Weinberger gruppierte die Atlanten und Karyatiden paarweise, ließ sie aber in entgegengesetzte Richtungen blicken. Die Figuren reichen je mit einem Arm weit nach oben, um das Gebälk zu stützen, die andere Hand greift die Last auf Höhe der Schulter.

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Georg Roemer wählte für das große Mittelfeld eine Darstellung des Gottes Apoll, umgeben von den neun Musen. Gemäß der griechischen und römischen Sagenwelt waren sie die individuellen Schutzgöttinnen der Künste, Apoll als Gott des Lichts und der Künste leitete sie an. In der Kunstgeschichte wurde daher der musizierende Gott häufig inmitten seines Gefolges von Musen abgebildet, durch ihre Attribute können sie oft ihren jeweiligen Künsten zugeordnet werden. So ist hier die Stehende direkt rechts neben Apoll als Euterpe zu identifizieren, die als Schutzgöttin der Lyrik und des Flötenspiels durch die Doppelflöte gekennzeichnet ist. Bei der dritten und vierten Figur von links handelt es sich um Melpomene und Thalia, die als Musen der Tragödie und der Komödie jeweils eine Theatermaske bei sich tragen. Das Mittelfeld wird flankiert von Szenen, die die dramatischen Gattungen Tragödie und Komödie darstellen. Die Tragödie rechts setzte Roemer in einer Szene um, die von geisterhaften Spukgestalten, Kampf und Verzweiflung handelt. Die Komödie im linken Feld hingegen wird von Musikanten und einem schwungvoll tanzenden Paar versinnbildlicht.

Biografie

Der aus Bremen stammende Georg Roemer studierte in Dresden, Berlin, Paris, Rom und Florenz. Einer seiner Lehrer war Adolf von Hildebrand, der in Florenz zusammen mit Hans von Marées und Conrad Fiedler ein Atelier unterhielt. Roemer war nach seiner Ausbildung sowohl im norddeutschen als auch im süddeutschen Raum tätig. Im Jahre 1913 entstand sein Brunnen aus Ruhpoldinger Marmor für einen Ausstellungspark in München, der sich heute im Innenhof der Münchener Rückversicherung in der Königinstraße befindet. In der großen Halle der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität ist Roemers Speerträger nach Polyklet zu sehen. Im Norden Deutschlands war der Künstler vor allem für die Hansestädte Bremen und Lübeck tätig. Für die Bremer Kunsthalle gestaltete er zusammen mit anderen namhaften Bildhauern wie Georg Wrba den Schmuck für die monumentale Sandsteinfassade. Am neuen Bremer Rathaus schuf er die Schutzengel mit den beiden Ratsherrenstatuen, die Fortunastatue auf dem Dachreiter und die Skulptur Vergangenheit und Zukunft für den Festsaal. Roemers im Jahre 1915 entstandener Gedenkstein auf dem Lübecker Ehrenfriedhof erinnert an den im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn von Ida Boy-Ed. Georg Roemer starb 1922 in München.

Der Bildhauer und Bauplastiker Karl Weinberger wurde 1885 in München geboren. Nach seinem Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste bildete er sich sieben Jahre lang bei Georg Wrba weiter, einem der bedeutendsten deutschen Bildhauer des 20. Jahrhunderts, der unter anderem als Mitarbeiter der Zwingerbauhütte tätig war. Weinberger und Wrba waren an der ornamentalen Gestaltung der Villa Wollner in Dresden beteiligt. Im Jahre 1909 machte sich Karl Weinberger selbständig und war ab 1911 hauptsächlich in Hamburg tätig. Der Künstler, der überwiegend in Stein, aber gelegentlich auch in Holz arbeitete, zeichnete sich vor allem durch seine Bauplastiken aus. In Hamburg schuf er zahlreiche Bauplastiken für diverse Staatsbauten, wie die Figurengruppen Frau mit Kind am „Erika-Haus“ der Universitätsklinik. Für die Augustusbrücke in Dresden schuf er die Schlusssteine und Wappen, für die heutige Stadtbibliothek in Leipzig, ehemals das Grassimuseum, ein Panther-Relief. Karl Weinberger starb 1953 in München.

Kategorie
Bauplastik/-skulptur
Standort
Beckergrube 10-14, Stadttheater, Fassade
Literatur
Peter W. Kallen, Skulptur am Bau in der Lübecker Altstadt, Lübeck 1990.