(* 1959 Lübeck, lebt und arbeitet in Barnitz bei Bad Oldesloe)
Als 1828 in Nürnberg ein unbekannter Jugendlicher auftauchte, der nur unsicher gehen und wenig sprechen konnte, war dies der Beginn eines Rätsels, das bis in die heutige Zeit die Forschung und die Legendenbildung beschäftigt. Der Junge gab seinen Namen als Kaspar Hauser an, wusste aber nichts über seine Herkunft. Nach seinen Angaben wurde er jahrelang ohne menschliche Kontakte in einem niedrigen dunklen Keller gefangen gehalten, nur notdürftig versorgt und durch Opiate ruhiggestellt. Bei sich trug er zwei rätselhafte Briefe, die angeblich von seiner Mutter und von der unbekannten Person, die ihn gefangen hielt, geschrieben wurden, tatsächlich aber aus derselben Feder stammten. Schnell wurde der Fall dieses offenbar in Isolation großgewordenen Jungen in ganz Europa bekannt und löste Betroffenheit, aber auch wilde Spekulationen über eine mögliche adlige Abstammung Kaspar Hausers aus. So soll er einer bis heute geläufigen Theorie zufolge ein Erbprinz des Herzogtums Baden gewesen sein, der als Säugling vertauscht wurde, um die Erbfolge zu beeinflussen. Doch auch Zweifel an seiner Geschichte wurden schnell laut, denn seine körperliche und psychische Verfassung stimmten nicht mit der von ihm geschilderten Einkerkerung und Versorgung überein, er war gesund und konnte sogar rudimentär lesen und schreiben. Der junge Mann wurde bei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht, zuerst in Nürnberg, dann in Ansbach. Mehrere hochgestellte Persönlichkeiten, u.a. der Rechtsgelehrte Anselm von Feuerbach, bemühten sich um die Aufklärung seiner Herkunft. 1829 wurde Hauser erstmals Opfer eines körperlichen Angriffs, 1833 brachte ihm ein Unbekannter eine Stichwunde bei, an der er wenige Tage später starb. Beide Vorfälle blieben mysteriös, es konnte nie aufgeklärt werden, wer die Angreifer waren. Auch wird bis heute kolportiert, Hauser habe sich die Verletzungen selbst zugefügt, um das öffentliche Interesse an seiner Person aufrecht zu erhalten. Die Inschrift seines Grabsteines auf dem Ansbacher Stadtfriedhof lautet: „Hier ruht Kaspar Hauser, ein Rätsel seiner Zeit, unbekannt die Geburt, geheimnisvoll die Umstände seines Todes“. Leben und Tod des Kaspar Hauser inspirieren bis heute Künstler, Schriftsteller, Musiker und Filmemacher. In der Medizin und Psychologie versteht man unter dem „Kaspar-Hauser-Syndrom“ Merkmale einer gestörten Entwicklung bei Menschen oder Tieren, hervorgerufen durch Isolation, Misshandlung und Einkerkerung.
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Thomas Helbing näherte sich dem Phänomen Kaspar Hauser aus einer pädagogischen Perspektive. Er sieht ihn als „Bildungstorso“, als ein „nahezu unbeschriebenes Blatt, aus dem sich erst allmählich eine Form zu entwickeln schien“. Der Künstler wählte für seine Arbeit eine Zweiteilung, die auf der einen Seite Fragmente der Figur des Kaspar Hauser zeigt, auf der anderen Seite fünf Abformungen der Gesichter von Schülerinnen und Schülern. Sie waren im Rahmen einer Projektwoche an der Entstehung der Bronzeplastik beteiligt und wurden von Helbing in die künstlerischen Prozesse eingewiesen. Helbings Werk liegt eine schicksalhafte, berührende Symbolik zugrunde: Auf der einen Seite der historische, international bekannte Kaspar Hauser, ein einsamer Mensch, unvollständig in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung, auf der anderen Seite Beispiele von Menschen der heutigen Zeit, denen sowohl Bildung und Erziehung, als auch Gesellschaft und soziales Miteinander vergönnt sind.
Nach einer Ausbildung im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk von 1978 bis 1981 nahm Thomas Helbing an der Universität Hamburg ein Studium der Kunstgeschichte auf, das er 1987 mit einer Magisterarbeit über den Bildhauer Auguste Rodin abschloss. Von 1988 bis 1994 studierte Helbing Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München und wurde dort 1994 Meisterschüler des österreichischen Bildhauers Professor Hans Ladner. 2002 erhielt er ein Stipendium der Dr. Günther Schirm-Stiftung zur Förderung junger Lübecker Künstler. Bereits ab Mitte der 1980er Jahre präsentierte Helbing sein Werk in zahlreichen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen der Öffentlichkeit. Seit 2007 betreibt der Künstler eine Werkstatt und eine Bildhauerschule in Barnitz. Sein Arbeitsfeld umfasst Skulptur, Plastik, Zeichnung und Radierung. Thomas Helbing ist Mitglied im Bundesverband Bildender Künstler (BKK) und in der Gemeinschaft Lübecker Künstler.