(* 1941 Reichenberg, lebt und arbeitet in Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf und Florenz sowie in seinem Atelier in Teltow)
Unter dem Eindruck der aus Richtung Süden näher rückenden Pestepidemie schuf der Lübecker Maler Bernt Notke 1463 seinen berühmten Totentanz-Fries für die Beichtkapelle der Marienkirche. Das monumentale Werk, auf Leinwandbahnen gemalt, erreichte eine Länge von etwa 26 Metern und eine Höhe von 2 Metern. Es zeigte zahlreiche nahezu lebensgroße Figuren in einem Reigen von Toten und Lebenden, der sich vor dem Panorama der Lübecker Stadtkulisse abspielte und sich durch eine besondere künstlerische Qualität und eindrückliche Wirkung auszeichnete. Anfang des 18. Jahrhunderts war der Gemäldefries so stark beschädigt, dass man ihn durch eine Kopie ersetzte. Diese wurde 1942 beim Bombenangriff auf Lübeck zerstört.
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Mehrere Glasfenster erinnern heute in der Marienkirche an den Totentanz von Notke und setzen das Themen in modernen Interpretationen um: Die beiden hohen Kirchenfenster von Alfred Mahlau in der Nordwand sowie darunterliegend das Totentanzfenster, das Markus Lüpertz 2002 als Tympanon für das Portal der Beichtkapelle gestaltete.
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Lüpertz verbildlichte das Thema nur indirekt. In dem begrenzten halbrunden Bildraum vereinigte er christliche Symbole des Todes, des Lebens und der Wiederauferstehung. Vibrierende schwarze Linien und hellgraue Schattierungen bilden die zugrundeliegende Zeichnung, leuchtende Rot-, Grün- und Blautöne heben einzelne Bereiche hervor. Im Mittelpunkt steht ein Totenschädel, der stumme Zwiesprache mit einer Taube – Bildnis des Friedens, aber auch des Heiligen Geistes – zu halten scheint. Der große Fisch, der den unteren Teil des Fensters dominiert, ist das Symbol für Jesus Christus, aber auch ein uraltes Zeichen von Leben und Fruchtbarkeit. Links von ihm steht ein Krug mit dem Wasser des Lebens, rechts ist ein Schneckenhaus als Sinnbild der Auferstehung zu sehen. Im Spitzbogenbereich brennen die sieben Fackeln der Apokalypse als Ankündigung des Jüngsten Gerichts.
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Bereits Mitte der 1990er Jahre erhielt der Künstler den Auftrag für das Fenster, er begann sich in der Folge intensiv mit der Geschichte der Marienkirche und des Totentanzes zu beschäftigen. Lüpertz malte seine eigene Fassung von Notkes Totentanzfries, in den originalen Abmessungen und Figurengruppierungen. Im Jahr 2002, in dem auch das Tympanonfenster in Lübeck verwirklicht wurde, schenkte er diesen Gemäldefries der Kirche St. Franziskus in seiner Heimatstadt Rheydt.
Markus Lüpertz zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Seine Familie stammte aus der böhmischen Stadt Reichenberg, 1948 siedelte sie nach Rheydt im Rheinland um. Von 1956 bis 1961 studierte Lüpertz an der Werkkunstschule Krefeld. Ein Studiensemester an der Kunstakademie Düsseldorf mündete nach Konflikten mit seinen Lehrern in seiner Exmatrikulation. 1962 siedelte Lüpertz nach West-Berlin über. Als Gegenentwurf zu Abstraktion und Minimalismus, den zu dieser Zeit aktuellsten künstlerischen Entwicklungen, fand er einen charakteristischen figürlichen Stil. Seine sogenannte „dithyrambische Malerei“ greift alltägliche Motive auf, die er reduziert bzw. verfremdet, und sie zu pathetisch aufgeladenen Symbolen in monumentalen Formaten erhöht. Mitte der 1960er Jahre war Lüpertz Mitglied der Produzentengalerie „Großgörschen 35“, in der sich zahlreiche Berliner Künstler zusammenschlossen. Seine erste Einzelausstellung wurde 1968 von dem Galeristen Michael Werner in Berlin ausgerichtet, der Lüpertz bis heute vertritt. Ab 1969 begann sich der Künstler in symbollastigen Gemäldezyklen kritisch mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Als Preisträger der Villa Romana verbrachte er 1970 ein einjähriges Stipendium in Florenz. Mitte der 1970er Jahre war Lüpertz als Gastdozent und Ausstellungsorganisator tätig, zudem veröffentlichte er einen ersten Gedichtband. Von 1976 bis 1987 lehrte er als Professor an der Kunstakademie Karlsruhe und wechselte im Anschluss an die Düsseldorfer Kunstakademie. Hier wirkte er von 1988 bis 2009 als Rektor und prägte eine der wichtigsten Kunsthochschulen Deutschlands maßgeblich. Seit 1980 ist Markus Lüpertz auch bildhauerisch tätig, seine gewaltigen, farbig bemalten Bronzefiguren finden sich im öffentlichen Raum zahlreicher deutscher Städte. Die Kunstgeschichte sowie die germanische und griechische Sagenwelt sind seit Mitte der 1980er Jahre beherrschende Themen, die er in malerischen, zeichnerischen und plastischen Werkserien umsetzt. Auch als Lyriker und Jazzpianist ist Lüpertz bis heute aktiv, versteht sich aber trotz der Vielfalt seines künstlerischen Ausdrucks ausschließlich als Maler.