(* 1920 auf der Trendelburg bei Kassel, † 2010 Remshalden-Buoch)
Das monumentale Westfenster in der Marienkirche, das Hans-Gottfried von Stockhausen 1962 schuf, vereinigt in sich ein komplexes bildnerisches Programm, welches die Auferstehung, den Sieg über den Teufel und das Jüngste Gericht zum Thema hat. Der Einsatz von Farbe und von Hell-Dunkel-Kontrasten prägt die Gestaltung des Fensters in besonderem Maße. Die wenigen Figuren sind in klaren, reduzierten Formen wiedergegeben, der größte Teil der Komposition zeigt stark abstrahierte Formelemente.
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Von Stockhausen gliederte die Höhe des Bildraumes, der sich über knapp zehn Meter erstreckt, in drei Bereiche, die jeweils von einer dunklen Ellipsenform dominiert werden. Im untersten Bereich ist der Erzengel Michael dargestellt, der über einen Drachen als Sinnbild des Teufels dominiert. Die schmale, längliche Gestalt des Erzengels mit den spitz zulaufenden Flügeln und der Lanze ist ganz in Weiß- und Goldtönen ausgeführt, wodurch er sich hell schimmernd aus dem dunklen Umraum hervorhebt. Michael gilt nicht nur als der Bezwinger des Teufels, sondern auch als Begleiter der Verstorbenen ins Jenseits und als derjenige, der über die guten und schlechten Taten zu deren Lebzeiten Buch führt.
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Als dunkle Ellipse in Braun-, Grün- und Blautönen erhebt sich darüber der blühende Lebensbaum. Er umschließt das offene Grab Jesu und versinnbildlicht die Auferstehung und das ewige Leben. In der Erzählung der Genesis ließ Gott im Paradies den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis über Gut und Böse wachsen. Nachdem Adam und Eva von dem verbotenen Baum der Erkenntnis gegessen hatten, wurden sie aus dem Paradies vertrieben. Der Baum des Lebens, zu dem ihnen der Zugang nun verwehrt wurde, hätte ihnen ewiges Leben schenken können. Durch den Opfertod Christi und seine Auferstehung wird den Gläubigen der Weg zum Baum des Lebens wieder eröffnet, dessen Früchte sie in Form des Abendmahls essen können.
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Der oberste Bereich zeigt Christus als Weltenrichter und somit als Richter über das Schicksal der Seelen beim Jüngsten Gericht. Seine thronende Gestalt mit erhobenen Händen und die vier ihm gegenüber sitzenden Engelsfiguren treten in ihrem schlichten Weiß eindrücklich aus dem umgebenden tiefen Blau und Rot heraus. Das Jüngste Gericht ist hier nicht als furchteinflößende, strafende Abrechnung dargestellt, vielmehr blickt Christus als gütiger Richter ruhig und mit Wohlwollen auf die Gläubigen im Kirchenraum herab. Nahtlos aneinandergesetzte Rechtecke in Beige, Weiß und Hellblau umschließen die drei Darstellungsbereiche. Sie ähneln den Quadern eines Mauerwerks und nehmen damit optischen Bezug auf die weißen Kirchenmauern, in die das Fenster eingebettet ist. Neben diesem hellen Umraum trägt auch die enorme Gewölbehöhe der Marienkirche zu der beeindruckenden Erscheinung des Fensters bei, in dem Hans-Gottfried von Stockhausen intensiver als zuvor in seinem Oeuvre die pure Leuchtkraft der großen Farbflächen wirken lässt.
Nach seinem Einsatz als Soldat im Zweiten Weltkrieg und seiner Kriegsgefangenschaft studierte Hans Gottfried von Stockhausen von 1947 bis 1951 Glasmalerei und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Nach seinem Studienabschluss machte er sich als freier Künstler selbstständig. Von Stockhausen spezialisierte sich auf die Glasmalerei im kirchlichen Bereich, im Laufe seiner künstlerischen Karriere schuf er über 500 architekturgebundene Glasfenster. Dabei beschritt er neue technische Wege und belebte auch traditionelle Verfahren wieder. Von 1954 bis 1957 unterrichtete er Naturzeichnen an der Stuttgarter Akademie, ab 1968 lehrte er dort einen künstlerischen Grundkurs, 1969 erfolgte die Ernennung zum Professor. 1971 beerbte von Stockhausen seinen Professor Rudolf Yelin am Lehrstuhl für Glasmalerei und Mosaik. Auf Schloss Waldenburg bei Stuttgart unterhielt der Künstler ein Atelier und richtete dort auch Ausstellungen aus. Nach seiner Emeritierung 1985 nahm er Lehraufträge in Pilchuck/Washington und in Edinburgh wahr, mehrere Ehrungen, u.a. das Bundesverdienstkreuz, würdigten in den 1980er und den 2000er Jahren seine Verdienste. Die zahllosen Kirchenfenster und baugebundenen Arbeiten von Stockhausens finden sich in ganz Deutschland, aber auch vereinzelt in Großbritannien, der Schweiz und den USA.