(* 1891 Hagen, † 1976 Lübeck)
Das in mediterranen Farben gehaltene Wandmosaik erzählte in vier figürlichen Szenen vom Rhythmus des Lebens. Es begann links unten mit der Darstellung einer Mutter, die aufmerksam und in sich versunken neben ihrem Kind saß und ihm beim Vorlesen zuhörte. Rechts von ihnen spielten drei junge Mädchen Ball. Weiter rechts und leicht nach oben versetzt folgten zwei erwachsene Frauen in Begleitung eines Hundes. Eine von ihnen blickte zurück auf ein offensichtlich gehörntes Fantasietier, das den Eindruck erweckte, als würde es sich im Licht einer Mondsichel davonschleichen. Rechts unten saß eine Frau gebeugt auf einem Hocker und las in ihrem Buch. Zwischen den vier figürlichen Darstellungen befanden sich schmale farbige Bänder, die teils als Sitzplätze dienten und dem Mosaik als Andeutung einer Boden- oder Horizontlinie eine gewisse Räumlichkeit verliehen.
Sowohl die Farbigkeit als auch die Ausgestaltung der einzelnen Figuren und die Kleidung erinnerten an die antike Kunst Italiens und zeigten die Inspiration, die Curt Stoermer durch seine zahlreichen Reisen in den Mittelmeerraum empfing. Die Gesamtkomposition an sich bildete eine geordnete Einheit, die durch die schmalen Bänder rhythmisch gegliedert war. Bei genauer Betrachtung wurde sichtbar wie aufwendig der Künstler diese Arbeit gestaltete. Er ritzte Blattstrukturen, Haarsträhnen und Augen in den Ton, lasierte zart die Hautflächen der alten Frau und schattierte das Haar von zweien der drei Mädchen in verschiedenen Nuancen. Mit dieser Wandgestaltung schuf Curt Stoermer eine bedeutende Arbeit, die Assoziationen zu den vier Lebensaltersabschnitten bzw. dem Rhythmus des Lebens wach rief: der Kindheit, dem Heranwachsen, der Blüte des Lebens und schließlich dem Alter.
Mit 68 Jahren erhielt Stoermer den Auftrag, dieses Kunstwerk für den Neubau des damaligen Gymnasiums Roonstraße zu schaffen. Sowohl bei der Auswahl des Motivs wie auch bei dem Ort der Anbringung hatte er freie Hand. Er platzierte es an der exponiertesten Stelle an der Rückwand der Eingangsüberdachung und machte es damit von der Straße aus weithin sichtbar. Im Zuge der Gebäudesanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen an der Thomas-Mann-Schule in den Jahren 2010 bis 2012 wurde die überdachte Eingangswand wärmegedämmt und mit einer Holzverkleidung versehen. Somit wurde das Keramikrelief überdeckt. Es wurde ein fensterartiger Ausschnitt frei gelassen, in dem eine verkleinerte Reproduktion an das einstige Keramikmosaik des Lübecker Künstlers erinnert.
Angeregt durch die Gründung des Museum Folkwang in seiner Heimatstadt Hagen und seine Bekanntschaft mit Christian Rohlfs begann Curt Stoermer ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie, welches er ab 1909 in Paris an der Académie Colarossi und der Académie Julian fortsetzte. Hier lernte er Heinrich Vogeler kennen und begleitetet ihn 1912 nach Worpswede, wo er sich zu einem Vertreter des Worpsweder Expressionismus entwickelte. Seine erste Einzelausstellung erhielt Stoermer im Oktober 1912 im Folkwang-Museum, auch einige seiner Holzschnitte konnte er in dieser Zeit veröffentlichen, u.a. in der berühmten Berliner Zeitschrift „Der Sturm“. Während seines Einsatzes im Ersten Weltkrieg machte er die Bekanntschaft des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff, mit dem er eng befreundet blieb. Ab 1921 lebte Stoermer in Lübeck und wandte sich der Glasmalerei zu. Ein Stipendium der Villa Massimo ermöglichte ihm 1931 eine ausgedehnte Studienreise nach Dalmatien und Italien. 1932 gehörte Stoermer zu den Mitbegründern der Künstlergruppe „Werkgruppe Lübeck“. Sein Atelier wurde beim Bombenangriff 1942 zerstört. Nach dem Ende des Krieges erhielt der Künstler zahlreiche Aufträge für Ausschmückungen an öffentlichen Bauten, die noch heute in der Hansestadt zu finden sind.