Künstler:in
Kiki Smith
(* 1954 Nürnberg, lebt und arbeitet in New York)
Titel
Wild Woman / Maria Magdalena
Datierung
1994
Technik
Silikonbronze mit Fußring aus Schmiedeeisen
Beschreibung

Die Frauenfigur im ehemaligen Gefängnishof des Lübecker Burgklosters trägt den Titel Wild Woman (Maria Magdalena) und war Teil einer großen Ausstellung mit Arbeiten der Künstlerin, die 1996 in der Lübecker Petrikirche gezeigt wurde. Dargestellt ist die Figur der büßenden Maria Magdalena, ein Motiv, welches auf die im Mittelalter bekannte „Legenda Aurea“, der Sammlung der Heiligenlegenden des Jacobus de Voragine, zurückgeht. Demnach zog sich die erste Zeugin der Auferstehung Christi in die Wildnis zurück und büßte dort.

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Die fast lebensgroße Skulptur im ehemaligen Gefängnishof zeigt Maria Magdalena, der in der langjährigen Einsamkeit in der Wüste ein Haarkleid gewachsen ist. In der Kunstgeschichte gibt es neben der Darstellung Maria Magdalenas als Büßerin weitere Darstellungen, etwa am Grab, die Füße Jesu salbend oder unter dem Kreuz. Die Heilige Maria Magdalena gilt als Schutzpatronin der Frauen, der Verführten, der reuigen Sünderinnen, der Schüler, Studenten und Gefangenen sowie der Winzer, Weinhändler, Handschuhmacher und Friseure.

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Die Bronzeskulptur fand als Leihgabe der Possehl-Stiftung kurze Zeit später auf dem Gelände des Kulturforums Burgkloster ihren dauerhaften Platz. Das Kulturforum Burgkloster war bis 2011 neben der Kunsthalle der zentrale Ort in Lübeck für zeitgenössische Kunst. Ausschlaggebend für die Entscheidung, die Skulptur auf dem Gelände des ehemaligen Dominikanerklosters, das später auch als Gerichtsgebäude fungierte, dauerhaft zu präsentieren, war das Thema der Maria Magdalena; denn die Heilige ist die Schutzpatronin und Namensgeberin des ehemaligen Klosters. Der ursprüngliche Name des 1229 gegründeten im Volksmund genannten Burgklosters ist Maria-Madalenen-Kloster. Der Name erinnert wie viele zur selben Zeit in Schleswig-Holstein gegründeten Kloster und Kirchen an die siegreiche Schlacht von Bornhöved, die am Maria-Magdalenen-Tag, dem 22. Juli 1227, stattfand. Als Dank für den Sieg über die Dänen, der auf die Hilfe der Heiligen zurückgeführt wurde, errichteten die Lübecker anstelle der zuletzt von den Dänen bewohnten Burg ein Kloster und übergaben es 1229 dem Dominikanerorden.

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Die im späteren Gefängnishof aufgestellte Bronzeskulptur Wild Woman (Maria Magdalena) aus dem Jahr 1994 gehört in die Reihe von Kiki Smith lebensgroßen Skulpturen, welche die Künstlerin Anfang der 1990er Jahre entwickelte und die den menschlichen Körper in häufig schonungsloser Weise darstellte. Ein dabei öfters von ihr künstlerisch umgesetztes Thema war die Verwandlung, die Metamorphose. In ihren Arbeiten hat sich Kiki Smith vielfach vom christlichen Figurenkanon inspirieren lassen, um daraus ihre intimen und anspielungsreichen künstlerischen Arbeiten zur Vergänglichkeit von Leib und Leben zu erschaffen. Kiki Smith entidealisierte und entheroisierte die traditionelle figürliche Plastik, benutzte sie als Medium des körperlichen und sozialen Schmerzes. Nachdem die Bauarbeiten für das Europäische Hansemuseum abgeschlossen waren, konnte die Bronzefigur nunmehr wieder ihren Platz in direkter Umgebung des ehemaligen Maria-Magdalenen-Klosters einnehmen.

Biografie

Die amerikanische Künstlerin Kiki (eigentlich Klara) Smith kam während einer mehrjährigen Europareise ihrer Eltern im deutschen Nürnberg zur Welt. 1955 ging die Familie zurück in die USA und bezog ein viktorianisches Herrenhaus in Orange County/New Jersey, wo Kiki Smith mit ihren beiden Schwestern in einem von Kunst geprägten Umfeld aufwuchs. Ihr Vater war der abstrakt arbeitende Bildhauer Tony Smith, der mit Künstlern wie Mark Rothko, Jackson Pollock und Barnett Newman befreundet war. Anfang der 1970er Jahre studierte Smith für kurze Zeit an der Kunstakademie in Hartfort/Connecticut. Ab 1976 lebte sie in New York City, wo sie sich dem Künstlerkollektiv Colab (Collaborative Projects) anschloss und 1980 an einer ersten Gruppenausstellung beteiligt war. Der morbide Charakter des elterlichen Herrenhauses und die katholische Erziehung, die ihre Kindheit und Jugend geprägt hatten, sorgten ebenso wie der Schock, den sie durch den Krebstod ihres Vaters 1983 erlitt, für die Ausrichtung ihrer künstlerischen Arbeiten in den 1980er Jahren: Der menschliche Körper, sein Leid und seine Verwundbarkeit, Folter und Tod waren die Themen, die sie in drastischen, das Publikum verstörenden Plastiken und Installationen verarbeitete. 1985 half sie mehrere Monate in der Notaufnahme eines Krankenhauses aus, um ihre Kenntnisse der menschlichen Anatomie zu vertiefen. Nach dem Aids-Tod einer ihrer Schwestern 1988 intensivierte Smith ihre Beschäftigung mit Vergänglichkeit und körperlicher Gewalt weiter und setzte sich dabei auch mit der Kunst des Mittelalters und christlichen Martyrien auseinander. Im Jahr 1992 jedoch schloss sie die Verarbeitung ihrer Traumata ab, es vollzog sich ein abrupter Wandel in ihrer Kunst: Die international bekannte Künstlerin feiert seither die Natur und die hellen, positiven Seiten von Spiritualität und christlichem Glauben in idyllisch-märchenhaften Plastiken, Installationen, aber auch druckgrafischen und textilen Arbeiten. Sowohl ihre frühen als auch ihre jüngeren Werke wurden bisher in unzähligen Ausstellungen präsentiert.

Stifter
Leihgabe der Possehl-Siftung
Kategorie
Freiplastik/-skulptur
Standort
An der Untertrave 1, Europäisches Hansemuseum, Burgkloster, Gefängnishof